
scroll | 08. Dezember 08 | Topic 'Musizieren'
seit Wochen ein schönes Mädchen.
Wenn alles tobt und schreit und durcheinander läuft, steht es da.
Trägt jetzt im Winter eine dick gefütterte Jacke, pink.
Trägt einen Tornister oder hat ihn neben sich abgestellt, pink.
Daran hängt eine Diddelmaus, abgegriffen, grau mit rosa Öhrchen.
Dicke Stiefel. Pink.
Sie steht da im Schulflur wie ein Fels in der Brandung, blond.
Eine Brille mit kreisrunden Gläsern, pink.
Dahinter große, ruhige Augen, wartend. Aufmerksam.
Sie bewegt sich nicht. Spricht nicht. Wartet einfach.
Die Jungs und Mädchen aus der 6. Klasse rennen um sie herum, raufen und brüllen, machen aber eine kleinen Bogen um sie.
Sie wartet.
Hält in der winzigen rechten hand eine Klarinette, die fast so groß ist wie sie.
Diese Zöpfe.
Sie wartet auf ihren Musiklehrer.
Der fragt sie, ob sie bei „Jugend musiziert“ mitmachen möchte. Sie antwortet nicht.
Er fragt noch einmal. Keine Antwort. Aber sie legt die Klarinette nicht aus der Hand.
„Ich werde mal mit deiner Mama sprechen.“ – Keine Reaktion.
„Ist sie jetzt zuhause?“ – „Sie holt mich gleich ab.“
„Ich würd sie gern anrufen. Welche Telefonnummer habt ihr denn?“ – Keine Antwort. Große Augen.
Der Lehrer holt sein Notizbuch und verlässt den Raum.
Ein andres Mal. Sie wartet wieder, die anderen Kinder sammeln sich um sie. Werden ruhig. Finkenrath hat Sorge um das Mädchen, aber sie fragen nur, ob sie auch etwas spielen kann auf dem Ding?
Sie sagt nichts, spielt sofort das Eurovisionsmotiv von Beethoven. Die Kinder sagen nichts, kein Lob, kein Schmäh. Sie machen einen größeren Bogen um die Klarinettistin.
Finkenrath fragt das Mädchen: „Sagst du mir, wie alt du bist?“
„Acht.“ Sie spricht es wie 8.
„Und wie lange spielst du schon?“
„Eineinhalb Jahre.“
Finkenrath, die Posaune noch im Arm, bedankt sich und sagt: „Ich bin 55 und spiele seit zwei Jahren.“
Sie lachen beide.
Wenn alles tobt und schreit und durcheinander läuft, steht es da.
Trägt jetzt im Winter eine dick gefütterte Jacke, pink.
Trägt einen Tornister oder hat ihn neben sich abgestellt, pink.
Daran hängt eine Diddelmaus, abgegriffen, grau mit rosa Öhrchen.
Dicke Stiefel. Pink.
Sie steht da im Schulflur wie ein Fels in der Brandung, blond.
Eine Brille mit kreisrunden Gläsern, pink.
Dahinter große, ruhige Augen, wartend. Aufmerksam.
Sie bewegt sich nicht. Spricht nicht. Wartet einfach.
Die Jungs und Mädchen aus der 6. Klasse rennen um sie herum, raufen und brüllen, machen aber eine kleinen Bogen um sie.
Sie wartet.
Hält in der winzigen rechten hand eine Klarinette, die fast so groß ist wie sie.
Diese Zöpfe.
Sie wartet auf ihren Musiklehrer.
Der fragt sie, ob sie bei „Jugend musiziert“ mitmachen möchte. Sie antwortet nicht.
Er fragt noch einmal. Keine Antwort. Aber sie legt die Klarinette nicht aus der Hand.
„Ich werde mal mit deiner Mama sprechen.“ – Keine Reaktion.
„Ist sie jetzt zuhause?“ – „Sie holt mich gleich ab.“
„Ich würd sie gern anrufen. Welche Telefonnummer habt ihr denn?“ – Keine Antwort. Große Augen.
Der Lehrer holt sein Notizbuch und verlässt den Raum.
Ein andres Mal. Sie wartet wieder, die anderen Kinder sammeln sich um sie. Werden ruhig. Finkenrath hat Sorge um das Mädchen, aber sie fragen nur, ob sie auch etwas spielen kann auf dem Ding?
Sie sagt nichts, spielt sofort das Eurovisionsmotiv von Beethoven. Die Kinder sagen nichts, kein Lob, kein Schmäh. Sie machen einen größeren Bogen um die Klarinettistin.
Finkenrath fragt das Mädchen: „Sagst du mir, wie alt du bist?“
„Acht.“ Sie spricht es wie 8.
„Und wie lange spielst du schon?“
„Eineinhalb Jahre.“
Finkenrath, die Posaune noch im Arm, bedankt sich und sagt: „Ich bin 55 und spiele seit zwei Jahren.“
Sie lachen beide.
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scroll | 02. November 08 | Topic 'Musizieren'
Finkenrath übt sich täglich im Posaunenspiel. Seit zwei Jahren ist er auf der Suche nach dem selbst produzierten, schönen Ton. Voll muss es tönen, weit, warm und laut. Manchmal ist der schöne Ton auch der schrille, spitze Ton. Meist übt er zu einer sogenannten Playalong-CD, auf der eine mehr oder weniger spielfreudige Combo eine Begleitung eingespielt hat. Die Verlage werben mit der „immer geduldigen Band“, die „jederzeit bereit“ ist und „alle Fehler verzeiht“. Und davon macht Finkenrath reichlich Gebrauch. Tatsächlich kann er sich manchmal vorstellen, mit Gitarrist, Pianist und Schlagzeuger im Probenraum zu stehen. Er macht Fortschritte.
Heute ist wieder Unterricht. Finkenrath hat den Secondhand-Blues geübt, auf den er schon erpicht war, seit er das neue Übungsheft durchgeblättert hatte. Er fühlt sich einigermaßen sicher. Das Tempo der CD ist nicht so hoch wie bei vielen anderen Stücken, an denen er arbeitet.
Sein Lehrer legt die CD ein und Finkenrath spielt. Aber dann setzt sich der Lehrer ans Klavier und spielt die einleitenden vier Takte vor. Ohne Noten. Die Musik fliegt ihm zu, so scheint es. Finkenrath ist zu sehr mit seiner Posaune beschäftigt, als dass er verstehen könnte, was geschieht. Wahrscheinlich genügen dem Lehrer ein paar Takte, die Tonart und ein paar Tasten. Wie auch immer.. Sein Lehrer hat die CD inzwischen angehalten. „Vier Takte?“, fragt er. Finkenrath nickt und freut sich über die Töne, die aus dem elektrischen Klavier perlen, als wäre das hier nicht ein Klassenraum einer Gesamtschule, sondern eine kleine Kneipe in New Orleans. Vier Takte Zeit zu träumen. Eins-zwei-drei-vier. Zwei-zwei-drei-vier. Drei-zwei-drei-vier. Vier-zwei-drei-vier. Takt fünf wäre sein Einsatz gewesen. Aber Finkenrath kann nicht einsetzen, weil er vor Glück lachen muss. Um das Vorspiel abzuschließen, hat sein Lehrer ein paar Triller gesetzt, die sehr gut zu diesem Stück passen und verraten, dass er jetzt selbst Spaß am Spiel hat. Als er Finkenrath lachen hört, unterbricht er und entschuldigt sich. Auch Finkenrath entschuldigt sich, bis beide merken, dass sie einfach Spaß am Spiel gefunden hatten.
Finkenrath lacht aus purer Freude, dass da jemand ist, der mit ihm spielen mag. Dass es ihm gelingen könnte, seine wenigen Töne so zu setzen, dass sie sich fügen ins stimmige Spiel mit den Tasten. Und es gelingt: Hören auf das Spiel des anderen; darauf eingehen, so gut es geht; Freude am Ergebnis empfinden dürfen; albern sein.
Ein Instrument spielen.
Und Finkenrath könnte immer so weiter machen. Aber schon kommt wieder jemand in den Raum gestürmt, der gerade seine Tasche dort abstellen muss.
Heute ist wieder Unterricht. Finkenrath hat den Secondhand-Blues geübt, auf den er schon erpicht war, seit er das neue Übungsheft durchgeblättert hatte. Er fühlt sich einigermaßen sicher. Das Tempo der CD ist nicht so hoch wie bei vielen anderen Stücken, an denen er arbeitet.
Sein Lehrer legt die CD ein und Finkenrath spielt. Aber dann setzt sich der Lehrer ans Klavier und spielt die einleitenden vier Takte vor. Ohne Noten. Die Musik fliegt ihm zu, so scheint es. Finkenrath ist zu sehr mit seiner Posaune beschäftigt, als dass er verstehen könnte, was geschieht. Wahrscheinlich genügen dem Lehrer ein paar Takte, die Tonart und ein paar Tasten. Wie auch immer.. Sein Lehrer hat die CD inzwischen angehalten. „Vier Takte?“, fragt er. Finkenrath nickt und freut sich über die Töne, die aus dem elektrischen Klavier perlen, als wäre das hier nicht ein Klassenraum einer Gesamtschule, sondern eine kleine Kneipe in New Orleans. Vier Takte Zeit zu träumen. Eins-zwei-drei-vier. Zwei-zwei-drei-vier. Drei-zwei-drei-vier. Vier-zwei-drei-vier. Takt fünf wäre sein Einsatz gewesen. Aber Finkenrath kann nicht einsetzen, weil er vor Glück lachen muss. Um das Vorspiel abzuschließen, hat sein Lehrer ein paar Triller gesetzt, die sehr gut zu diesem Stück passen und verraten, dass er jetzt selbst Spaß am Spiel hat. Als er Finkenrath lachen hört, unterbricht er und entschuldigt sich. Auch Finkenrath entschuldigt sich, bis beide merken, dass sie einfach Spaß am Spiel gefunden hatten.
Finkenrath lacht aus purer Freude, dass da jemand ist, der mit ihm spielen mag. Dass es ihm gelingen könnte, seine wenigen Töne so zu setzen, dass sie sich fügen ins stimmige Spiel mit den Tasten. Und es gelingt: Hören auf das Spiel des anderen; darauf eingehen, so gut es geht; Freude am Ergebnis empfinden dürfen; albern sein.
Ein Instrument spielen.
Und Finkenrath könnte immer so weiter machen. Aber schon kommt wieder jemand in den Raum gestürmt, der gerade seine Tasche dort abstellen muss.
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