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Am Internet-Terminal in der Empfangshalle der Klinik loggt Finkenrath sich gerade formell aus, damit seine Mails nicht von anderen (Besuchern, Patienten, Personal) gelesen werden können. Regina hatte ihm auf seine Anregung hin ein Foto von sich gemailt, als Dateianhang, was, wie sie schrieb, nicht ganz einfach für sie gewesen war. Er hatte ihr eine Webcam zum Fest geschenkt und sich auf einen Videoplausch während seines Aufenthaltes hier in Nürnberg gefreut, aber die Technik war hier noch nicht so weit. Mails aber konnte er empfangen und versenden, wenn das Terminal frei war.
Er versucht die Zurücktaste und schaut, ob sein Zugang noch aktiv ist, aber er kann sich sicher sein, dass seine Spuren gelöscht sind. Kinderstimmen hört er hinter sich in der Sitzecke im Wartebereich. Und eine Frauenstimme (mütterlich jung): „Müsst ihr denn Vokabeln lernen über die Ferien?“, fragt sie, und eine Mädchenstimme sagt: „Ich hab schon zwei Kapitel gelernt.“
Sonst sitzen hier nur Senioren aller Klassen. Finkenrath dreht sich um und erblickt eine Königin und zwei Könige mit einer jungen Frau, die ihnen gegenüber sitzt. Die Königin trägt wegen der extremen Kälte in diesem Winter eine Daunenjacke und Fäustlinge. Auf dem Kopf trägt sie mit aller nötigen Würde eine goldene Pappkrone. Darunter quellen üppige Zöpfe hervor. Der König in der Mitte trägt im Schoß einen rotsamtenen Klingelbeutel, der ober einen Einwurfschlitz im Messingdeckel hat. König 3, vielleicht Balthasar, hält einen Stern am Besenstiel vor sich: Güldene Papppracht.
Während Finkenrath noch huldigt und nach Kleingeld in seiner Hosentasche gräbt, hört er die Königin memorieren: „... Gottes Wort hin....“ Der Rest geht unter. Der Beutel ist noch völlig leer, das hört Finkenrath am Klang seiner Münzen, die jwetzt nicht mehr seine Münzen sind. Gerne ließe er sichj etwas vorsingen, aber hat sein Genüge an dem Auswendiglernen der Königin: „... unsere Gaben bringen.... Gottes Sohn....“
Finkenrath ist froh, diese Worte aus Kindermund zu hören. Auf seiner Station ist er zusammen mit einer Mutter (20), die ihr Kind weggegeben hat, nicht lesen und schreiben und mit der Therapie nichts anfangen kann. Eine andere, nicht viel älter, hat keine Wohnung und bleibt deshalb in der Klinik, so lange es geht. Sie macht sich krank dafür. Ein Dritter, vielleicht Melchior, ist 9 und will Arzt werden. Seine Mutter kümmert sich um ihren aktuellen Freund, während Melchior fernsieht und einen verfickten Wortschatz entwickelt hat.
Finkenrath möchte sich vor den Hl. Drei Königen in den Staub werfen. Wegen der überladenen Schmutzsaugmatten in der tausalzwassergetränkten Eingangshalle verzichtet er darauf für den Moment.
Er versucht die Zurücktaste und schaut, ob sein Zugang noch aktiv ist, aber er kann sich sicher sein, dass seine Spuren gelöscht sind. Kinderstimmen hört er hinter sich in der Sitzecke im Wartebereich. Und eine Frauenstimme (mütterlich jung): „Müsst ihr denn Vokabeln lernen über die Ferien?“, fragt sie, und eine Mädchenstimme sagt: „Ich hab schon zwei Kapitel gelernt.“
Sonst sitzen hier nur Senioren aller Klassen. Finkenrath dreht sich um und erblickt eine Königin und zwei Könige mit einer jungen Frau, die ihnen gegenüber sitzt. Die Königin trägt wegen der extremen Kälte in diesem Winter eine Daunenjacke und Fäustlinge. Auf dem Kopf trägt sie mit aller nötigen Würde eine goldene Pappkrone. Darunter quellen üppige Zöpfe hervor. Der König in der Mitte trägt im Schoß einen rotsamtenen Klingelbeutel, der ober einen Einwurfschlitz im Messingdeckel hat. König 3, vielleicht Balthasar, hält einen Stern am Besenstiel vor sich: Güldene Papppracht.
Während Finkenrath noch huldigt und nach Kleingeld in seiner Hosentasche gräbt, hört er die Königin memorieren: „... Gottes Wort hin....“ Der Rest geht unter. Der Beutel ist noch völlig leer, das hört Finkenrath am Klang seiner Münzen, die jwetzt nicht mehr seine Münzen sind. Gerne ließe er sichj etwas vorsingen, aber hat sein Genüge an dem Auswendiglernen der Königin: „... unsere Gaben bringen.... Gottes Sohn....“
Finkenrath ist froh, diese Worte aus Kindermund zu hören. Auf seiner Station ist er zusammen mit einer Mutter (20), die ihr Kind weggegeben hat, nicht lesen und schreiben und mit der Therapie nichts anfangen kann. Eine andere, nicht viel älter, hat keine Wohnung und bleibt deshalb in der Klinik, so lange es geht. Sie macht sich krank dafür. Ein Dritter, vielleicht Melchior, ist 9 und will Arzt werden. Seine Mutter kümmert sich um ihren aktuellen Freund, während Melchior fernsieht und einen verfickten Wortschatz entwickelt hat.
Finkenrath möchte sich vor den Hl. Drei Königen in den Staub werfen. Wegen der überladenen Schmutzsaugmatten in der tausalzwassergetränkten Eingangshalle verzichtet er darauf für den Moment.
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scroll | 25. Dezember 08
die fenster verklebt
graue werbefolie
der busfahrer pfeift
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scroll | 08. Dezember 08 | Topic 'Musizieren'
seit Wochen ein schönes Mädchen.
Wenn alles tobt und schreit und durcheinander läuft, steht es da.
Trägt jetzt im Winter eine dick gefütterte Jacke, pink.
Trägt einen Tornister oder hat ihn neben sich abgestellt, pink.
Daran hängt eine Diddelmaus, abgegriffen, grau mit rosa Öhrchen.
Dicke Stiefel. Pink.
Sie steht da im Schulflur wie ein Fels in der Brandung, blond.
Eine Brille mit kreisrunden Gläsern, pink.
Dahinter große, ruhige Augen, wartend. Aufmerksam.
Sie bewegt sich nicht. Spricht nicht. Wartet einfach.
Die Jungs und Mädchen aus der 6. Klasse rennen um sie herum, raufen und brüllen, machen aber eine kleinen Bogen um sie.
Sie wartet.
Hält in der winzigen rechten hand eine Klarinette, die fast so groß ist wie sie.
Diese Zöpfe.
Sie wartet auf ihren Musiklehrer.
Der fragt sie, ob sie bei „Jugend musiziert“ mitmachen möchte. Sie antwortet nicht.
Er fragt noch einmal. Keine Antwort. Aber sie legt die Klarinette nicht aus der Hand.
„Ich werde mal mit deiner Mama sprechen.“ – Keine Reaktion.
„Ist sie jetzt zuhause?“ – „Sie holt mich gleich ab.“
„Ich würd sie gern anrufen. Welche Telefonnummer habt ihr denn?“ – Keine Antwort. Große Augen.
Der Lehrer holt sein Notizbuch und verlässt den Raum.
Ein andres Mal. Sie wartet wieder, die anderen Kinder sammeln sich um sie. Werden ruhig. Finkenrath hat Sorge um das Mädchen, aber sie fragen nur, ob sie auch etwas spielen kann auf dem Ding?
Sie sagt nichts, spielt sofort das Eurovisionsmotiv von Beethoven. Die Kinder sagen nichts, kein Lob, kein Schmäh. Sie machen einen größeren Bogen um die Klarinettistin.
Finkenrath fragt das Mädchen: „Sagst du mir, wie alt du bist?“
„Acht.“ Sie spricht es wie 8.
„Und wie lange spielst du schon?“
„Eineinhalb Jahre.“
Finkenrath, die Posaune noch im Arm, bedankt sich und sagt: „Ich bin 55 und spiele seit zwei Jahren.“
Sie lachen beide.
Wenn alles tobt und schreit und durcheinander läuft, steht es da.
Trägt jetzt im Winter eine dick gefütterte Jacke, pink.
Trägt einen Tornister oder hat ihn neben sich abgestellt, pink.
Daran hängt eine Diddelmaus, abgegriffen, grau mit rosa Öhrchen.
Dicke Stiefel. Pink.
Sie steht da im Schulflur wie ein Fels in der Brandung, blond.
Eine Brille mit kreisrunden Gläsern, pink.
Dahinter große, ruhige Augen, wartend. Aufmerksam.
Sie bewegt sich nicht. Spricht nicht. Wartet einfach.
Die Jungs und Mädchen aus der 6. Klasse rennen um sie herum, raufen und brüllen, machen aber eine kleinen Bogen um sie.
Sie wartet.
Hält in der winzigen rechten hand eine Klarinette, die fast so groß ist wie sie.
Diese Zöpfe.
Sie wartet auf ihren Musiklehrer.
Der fragt sie, ob sie bei „Jugend musiziert“ mitmachen möchte. Sie antwortet nicht.
Er fragt noch einmal. Keine Antwort. Aber sie legt die Klarinette nicht aus der Hand.
„Ich werde mal mit deiner Mama sprechen.“ – Keine Reaktion.
„Ist sie jetzt zuhause?“ – „Sie holt mich gleich ab.“
„Ich würd sie gern anrufen. Welche Telefonnummer habt ihr denn?“ – Keine Antwort. Große Augen.
Der Lehrer holt sein Notizbuch und verlässt den Raum.
Ein andres Mal. Sie wartet wieder, die anderen Kinder sammeln sich um sie. Werden ruhig. Finkenrath hat Sorge um das Mädchen, aber sie fragen nur, ob sie auch etwas spielen kann auf dem Ding?
Sie sagt nichts, spielt sofort das Eurovisionsmotiv von Beethoven. Die Kinder sagen nichts, kein Lob, kein Schmäh. Sie machen einen größeren Bogen um die Klarinettistin.
Finkenrath fragt das Mädchen: „Sagst du mir, wie alt du bist?“
„Acht.“ Sie spricht es wie 8.
„Und wie lange spielst du schon?“
„Eineinhalb Jahre.“
Finkenrath, die Posaune noch im Arm, bedankt sich und sagt: „Ich bin 55 und spiele seit zwei Jahren.“
Sie lachen beide.
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