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Finkenraths Achtsamkeiten
Freitag, 21. November 2008
Finkenrath schwitzt
scroll | 21. November 08 | Topic 'Altern'
in seiner Outdoorjacke. Schon vor drei Wochen hat er die Innenjacke aus Fleece eingezogen. Die Jacke ist offen. Die Novembersonne scheint tief vom blauen Himmel her, blendet beim Anstieg.
Finkenrath geht seine runde, versucht dort zu flanieren, wo er jeden Stein schon kennt. Er hat die Kameratasche umgehängt. Spürt, wie sie den Atemraum eng macht. Auf seiner Bank, auf der Höhe, legt er ab. Macht ein Foto,

und weiß sofort, dass es nichts vom dem zeigen wird, was er sieht:
Fast einen Sommertag, in dem Monat, vor dem er sich jedes Jahr so fürchtet.
Eine einzige Lerche jubelt ihm etwas vor. Bergisches Gold auf den Bäumen wärmt den Blick, will nicht gehen oder wartet gelassen auf das Ab-Sterben. Bildet schon neues aus und versteckts.
Ein Schaf hat Wolle gelassen auf der offenen Wiese. Kronenkorken. Kaugummipapier.
Und ein Grasgrün, das alles aufbietet für diesen Tag, der fast ein Sommertag ist.
Finkenrath hat eine Artikelüberschrift im Kopf: Zu jung? Zu alt? Wie man lernt, sein aktuelles alter anzunehmen.
Finkenrath will sich selbst Gedanken dazu machen.
Jetzt wird es ihm zu kühl.
Aber er ist auf einem guten Weg.

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Sonntag, 2. November 2008
Finkenrath wird begleitet
scroll | 02. November 08 | Topic 'Musizieren'
Finkenrath übt sich täglich im Posaunenspiel. Seit zwei Jahren ist er auf der Suche nach dem selbst produzierten, schönen Ton. Voll muss es tönen, weit, warm und laut. Manchmal ist der schöne Ton auch der schrille, spitze Ton. Meist übt er zu einer sogenannten Playalong-CD, auf der eine mehr oder weniger spielfreudige Combo eine Begleitung eingespielt hat. Die Verlage werben mit der „immer geduldigen Band“, die „jederzeit bereit“ ist und „alle Fehler verzeiht“. Und davon macht Finkenrath reichlich Gebrauch. Tatsächlich kann er sich manchmal vorstellen, mit Gitarrist, Pianist und Schlagzeuger im Probenraum zu stehen. Er macht Fortschritte.
Heute ist wieder Unterricht. Finkenrath hat den Secondhand-Blues geübt, auf den er schon erpicht war, seit er das neue Übungsheft durchgeblättert hatte. Er fühlt sich einigermaßen sicher. Das Tempo der CD ist nicht so hoch wie bei vielen anderen Stücken, an denen er arbeitet.
Sein Lehrer legt die CD ein und Finkenrath spielt. Aber dann setzt sich der Lehrer ans Klavier und spielt die einleitenden vier Takte vor. Ohne Noten. Die Musik fliegt ihm zu, so scheint es. Finkenrath ist zu sehr mit seiner Posaune beschäftigt, als dass er verstehen könnte, was geschieht. Wahrscheinlich genügen dem Lehrer ein paar Takte, die Tonart und ein paar Tasten. Wie auch immer.. Sein Lehrer hat die CD inzwischen angehalten. „Vier Takte?“, fragt er. Finkenrath nickt und freut sich über die Töne, die aus dem elektrischen Klavier perlen, als wäre das hier nicht ein Klassenraum einer Gesamtschule, sondern eine kleine Kneipe in New Orleans. Vier Takte Zeit zu träumen. Eins-zwei-drei-vier. Zwei-zwei-drei-vier. Drei-zwei-drei-vier. Vier-zwei-drei-vier. Takt fünf wäre sein Einsatz gewesen. Aber Finkenrath kann nicht einsetzen, weil er vor Glück lachen muss. Um das Vorspiel abzuschließen, hat sein Lehrer ein paar Triller gesetzt, die sehr gut zu diesem Stück passen und verraten, dass er jetzt selbst Spaß am Spiel hat. Als er Finkenrath lachen hört, unterbricht er und entschuldigt sich. Auch Finkenrath entschuldigt sich, bis beide merken, dass sie einfach Spaß am Spiel gefunden hatten.
Finkenrath lacht aus purer Freude, dass da jemand ist, der mit ihm spielen mag. Dass es ihm gelingen könnte, seine wenigen Töne so zu setzen, dass sie sich fügen ins stimmige Spiel mit den Tasten. Und es gelingt: Hören auf das Spiel des anderen; darauf eingehen, so gut es geht; Freude am Ergebnis empfinden dürfen; albern sein.
Ein Instrument spielen.
Und Finkenrath könnte immer so weiter machen. Aber schon kommt wieder jemand in den Raum gestürmt, der gerade seine Tasche dort abstellen muss.

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Mittwoch, 22. Oktober 2008
Finkenrath betrachtet ein Foto
scroll | 22. Oktober 08 | Topic 'Fotos'
Es zeigt eine Frau von 36 Jahren. Sie hat schulterlanges, lockiges Haar und trägt ein dunkelblaues, vielleicht seidenes Shirt mit rundem Ausschnitt. Die Frau hat ihre Arme um ein blondes Mädchen gelegt. Sie hält es nicht fest, sondern ihre Arme fallen um den schlanken Körper des Mädchens, das seinerseits die Frau umarmt, indem es beide Arme fest um die Hüften der Frau schlingt. Es blickt dabei furchtsam in Richtung weiterer Personen, die offenbar links neben der Frau stehen, im Bild aber nur zu vermuten sind.
Die Frau schaut in die gleiche Richtung, von weiter oben her, aber gar nicht ängstlich, sondern wohlwollend und offen. Sie wirkt entspannt.
Ein zweites Mädchen, blond wie das erste, aber etwas jünger und kleiner, steht nahe vor der Frau und betrachtet mit gesenktem Blick etwas, das es in den Händen hält. Es ist nicht zu erkennen, worum es sich handelt. Das kleinere Mädchen schaut hochkonzentriert und wirkt, als wolle es gleich aus dem Bild herausgehen. Finkenrath glaubt, das Mädchen könne nur deshalb so in sich versunken sein, weil es in der Nähe der Frau steht.
Offenbar ist die Frau die Mutter der beiden Mädchen; deren sicherer Hort, ihre wärmende Mitte. Die Mutter kann zur gleichen Zeit ihre schützenden Hände über sie halten und mit großem Interesse am Leben der anderen teilhaben.
Finkenrath beneidet beide Mädchen ein wenig. Das eine, weil er selber nie Zuflucht fand bei seiner Mutter. Das andere, weil es schon so stark wirkt, als könne es sofort eine Welt erobern.
Finkenrath ist dankbar, dass die Frau auf dem Foto die Pfarrerin seiner Gemeinde ist. Wer immer sich in der Gemeinde darauf einlassen kann, spürt Wohlwollen und Offenheit, die von ihr ausgehen. Und wieder zu ihr zurückkehren. Immer wieder.
Von irgendwo bekommt sie diese Kraft.

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